Betreuung verliert ihren Schreckensmythos

Demenz, Schlaganfall oder ein Unfall – es gibt viele Gründe, im Alltag plötzlich auf eine gesetzliche Betreuung angewiesen zu sein.

In Deutschland sind rund 1,4 Millionen Menschen unter Betreuung und der demografische Wandel bewirkt eine weitere Zunahme. Seit den 1990er Jahren hat sich die Zahl der Betreuungen fast verdreifacht.

Wer infolge einer Krankheit oder Behinderung die eigenen Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht (mehr) selbst erledigen kann und keine oder keine ausreichende Vorsorgevollmacht erteilt hat, kann darauf angewiesen sein, dass das Gericht einen rechtlichen Betreuer zur Unterstützung bestellt. Die meisten Menschen denken, dass sie in einem Notfall automatisch entweder durch den Ehepartner oder andere Familienangehörige vertreten werden. Das ist jedoch unzutreffend. Eine rechtliche Betreuung kann in Deutschland allein von einem Gericht bestellt werden. Dieses legt gleichzeitig fest, wer die Betreuung übernimmt. Dies kann eine fremde Person oder auch ein Angehöriger sein. Das Gericht regelt auch, welche konkreten Entscheidungsbefugnisse übertragen werden.

Betreuung bleibt die Ultima Ratio

Dabei muss jedoch zunächst festgestellt werden, ob nicht Hilfen tatsächlicher Art vorhanden und zur Unterstützung der betroffenen Person ausreichend sind. Die rechtliche Betreuung ist nach Sinn und Zweck die Ultima Ratio. So können Familienangehörige, Bekannte oder soziale Dienste die betroffene Person bei praktischen Angelegenheiten des Alltags unterstützen. Nur der Betroffene kann die Betreuung beim Betreuungsgericht für sich selbst beantragen. Dritte (dazu zählen auch Angehörige, Fachdienste oder Pflegestützpunkte) können eine Betreuung hingegen lediglich anregen. Oft ist es der behandelnde Arzt, der zuerst feststellt, dass ein Mensch rechtliche Betreuung benötigt, aber auch zum Beispiel Bankmitarbeiter, wenn ihnen auffällt, dass ein Kunde mehrmals am Tag in die Bank kommt und Geld abhebt, sich aber auf Nachfrage nicht mehr daran erinnern kann.

Die für einen Betreuer vorgesehenen Aufgabenbereiche erstrecken sich je nach Erfordernis unter anderem auf die Vermögenssorge, die Gesundheitssorge, ein Aufenthaltsbestimmungsrecht und auch auf Wohnungsangelegenheiten. So regeln Betreuer oftmals Behördenangelegenheiten, zum Beispiel wenn rechtswirksame und folgenreiche Unterschriften erforderlich sind, verwalten Finanzen, willigen in Heilbehandlungen und Operationen ein, öffnen Post, treffen Entscheidungen über Wohnen und Aufenthalt.

Selbstbestimmung statt Bevormundung

Eine Betreuung ist zeitlich und auch sachlich auf bestimmte Aufgabenkreise beschränkt, so dass nur die Bereiche erfasst werden, die tatsächlich einer Hilfe bedürfen. Dabei bilden Wohl, Wille und Wünsche der zu betreuenden Person die Richtschnur allen Handelns. Der wichtigste Grundsatz lautet dabei „Selbstbestimmung statt Bevormundung“. Daher ist die Betreuung gesetzlich so ausgestaltet, dass sie die Rechtsstellung bzw. Rechtsmacht des Betroffenen grundsätzlich unberührt lässt, das heißt, die betreute Person wird nicht geschäftsunfähig. Menschen mit Unterstützungsbedarf haben nach diesem Grundprinzip auch im Rahmen einer Betreuung das Recht darauf, soweit irgend möglich, so zu leben, wie sie es sich wünschen und dabei bestmögliche Hilfe zu erhalten.

Sensible Handlungsfelder sind betroffen

Die rechtliche Betreuung betrifft sensible Handlungsfelder, die grundrechtlich geschützt sind, und löst damit bei vielen Betroffenen oftmals Angst vor Autonomieverlust aus. Auch wenn sich diese Sorge vermutlich nie vollkommen ausblenden lässt, so wird sie doch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Entmündigung Volljähriger in Deutschland bereits seit 1992 abgeschafft ist und gegen den freien Willen eines Menschen eine Betreuung grundsätzlich nicht eingesetzt werden kann (Ausnahme bei drohender Eigen- oder Selbstgefährdung), hoffentlich für möglichst viele Betroffene deutlich minimiert, so dass die Einrichtung einer gerichtlichen Betreuung in der Gesellschaft den althergebrachten Schreckensmythos verliert.

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